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Wasser, Weitblick, Niemandsland: Schlesien

Tag 1: Wasser, Weitblick, Niemandsland


Unsere dreitägige Graveltour begann Freitags in Zittau auf gemütliche und nette Weise: im Café Schwerdtner am Markt standen die Räder ringsum den „Marsbrunnen“. Ein gewappneter Krieger steht dort seit 1585 auf einer Renaissance-Säule und kündigt mit großen Gesten an welch Anstrengungen uns auf den kommenden dreihundert Kilometer wohl erwarten würden. Vier Löwenmarken an der Säule speien Wasser in das achteckige Brunnenbassin und zeugen vom einstigen Reichtum von Zittau. Wir versammeln uns zum Tourstart.

Vor der offiziellen Begrüßung packen wir noch alle Notwendigkeiten für unterwegs als auch die abendliche Ruhe in unser Begleitfahrzeug um. Bis zur großen Willkommensrede durch Streckenchef Christian gibt’s Kaffee und Kuchen am Brunnen, genau dort wo wir uns nach gemeinsamen Abenteuern (und geteiltem Leid) auch am Sonntag wieder verabschieden würden. So rollten wir an diesem Tag gemeinsam auf unseren frisch geputzten Rädern in die grüne unendliche Weite Tschechiens hinein. 

Das gemeinsame Ziel der ersten Etappe war die Unterkunft in Pobiedna (Polen), keine vierzig Kilometer Luftlinie entfernt. Nahe des Kurorts Bad Flinsberg gelegen ist diese Region den berglüsternen Dresdner Radsportenthusiasten vor allem durch den legendären Anstieg, ach was: die kaum erklimmbare Himmelsleiter zur Heufuderbaude auf 1.050 müNN bekannt. 

Der Tag war sonnig-warm, mit angenehmem und erlebnisorientiertem Tempo ließen wir uns genussvoll den Wind um die Ohren wehen. Entlang von einsamen Flussläufen, über Brücken, Felder und Hügel rollten wir beinahe lässig und entspannt durch die tschechische Grenzregion hindurch. W e i t b l i c k e, auch ins Zittauer Gebirge oder zum Ješted luden uns zu Trink- und Nachfüllpausen ein. Wann nimmt man sich unterwegs mal so viel Zeit und Ruhe um ohne große Anstrengung eine eigentlich ambitionierte Radtour zu meistern? Danke an Michel, unseren Begleitetfahrzeugführungsmeister, für den Support zu jeder Tages- und Nachtzeit. 

Natürlich hatten wir auch Gelegenheit die tollen Spielgeräte an schönsten Plätzen im Niemandsland nahe des riesigen Tagebaus Bogatynia zu testen: Karussell und Wippen waren einwandfrei geölt. Die Zeit schien hier stehen geblieben zu sein. Die Paparazzi erfreuten sich an Schnappschüssen unter anderem auch an geerdeten tschechischen Flugobjekten. Die Distanz zum Alltag gewann genauso an Strecke, wie wir „on Tour.“

Herrliche Weidelandschaften mit Schafsherden, Kuh- und Pferdewiesen wechselten sich mit knallgelben Rapsfeldern und nach Holz und Kiefer duftenden Waldwegen ab. Urlaubsfeeling.

„Slow Food“ auf Tschechisch war das Mittagessen am Marktplatz in Frýdlant. Dort nimmt man sich für den Kunden noch Zeit. Nämlich so viel Zeit, dass ein jeder sein individuelles Mittagsschläfchen halten konnte bevor die erste, erfrischende Kofola auf dem Tisch stand.

Freudig ging es im Anschluss kurz bergauf zum Aussichtsturm von Frydland und den zweiten Spielplatz-Stop der Etappe. Wenn Kinder einmal spielen vergeht auch schnell mal eine weitere halbe Stunde: „Gruppe Gravel fährt jetzt los, zweier Reihe, hat jeder seinen Nachbarn?“. Nach dem Passieren des idealen Drohnenflug-Spots über weite Felder ging es entlang rasanter Waldautobahnen kühlend abwärts (erster Platten!) durch einen kleinen Flusslauf, wo natürlich die Radschuhe nicht nass werden sollten – wem ist das denn nicht gelungen?

Bedingt durch die anscheinend komplexe Reifenpanne splittete sich das bisher sehr geeinte Fahrerfeld in viele kleine Grüppchen, Duos und Trios auf. So traf man sich immer mal wieder in purer Einsamkeit und Ruhe auf saftig grünen Wiesen im Grenzgebiet um ein paar Kilometer hier und da gemeinsam zu erleben. Eine wunderbare Ungebundenheit ließ einen den Alltag vollends vergessen und Zeitdruck hatten wir sowieso keinen. Knappe fünfundsiebzig Kilometer haben wir in „sportlichen“ sechs Stunden absolviert. Standzeit größer Fahrzeit? Aber sicher.

Im Hotel am Fuße des Gebirges angekommen konnten wir die Räder wunderbar im kühlen Keller der Herberge unterbringen. Unsere Zimmer bezogen wir mit Hoffnung auf etwas Regeneration für den nächsten Tag.  An diesem ruhigen Ort, umgeben von einem bezaubernden Park mit altem Baumbestand, war das auch sehr gut möglich. Wir nächtigten im Hotel Dworek Saraswati – traumhaft! Mit gemütlichen Betten und großzügigem Platzangebot hätten hier noch drei Räder pro Zimmer verstaut werden können.

Im Salon des wunderschönen Herrenhauses gab es ein Menü aus Vorsuppe (welche aufgrund der sportlichen Höchstanforderung an den Tourenguide von Christian zu vier bis fünf Tellern maßvoll … genossen (?) wurde), Hauptgang (Nudeln, Schnitzel oder Braten) und Dessert, was uns zufrieden -fast- den Hunger stillte. 


Tag 2: Das Gravelherz schlägt Purzelbäume vor Freude

Der Wettergott war den Gravelisten auch am zweiten Tag wohl gesonnen, nachdem er es in der Nacht ordentlich hat krachen lassen. Die Gewitterwolken hatten sich komplett wieder über Nacht verzogen, und der Morgen zeigte sich zwar kühl, aber windstill und trocken. Gestärkt durch ein reichliches und deftiges Frühstück ging es, ein wenig verspätet, wieder auf die Räder. Heute stand mit bis zu 150 Kilometern und 2400 Höhenmetern die Königsetappe des Gravel-Wochenendes an, die zum Abschluss im wahrsten Sinne des Wortes ihre Krönung erfuhr.

Anfangs führte die Fahrt über Äcker und Felder, gespickt mit reichlich Pfützen der nächtlichen Gewittergüsse und dem ein oder anderem motorisierten Hindernis aus einer anderen Zeit, zum ersten Aussichtspunkt der Tour. Passend zur Besteigung des Aussichtsfelsens verzogen sich die Wolken und eröffneten bei Sonnenschein einen traumhaften Blick über die Landschaft Niederschlesiens.

Weiter ging es über einsame Wald- und Wiesenwege und vorbei an einem Stausee zur ersten Rast des Tages nach Löwenberg. Eigentlich sollte die Fahrt direkt am Stausee vorbeiführen, aber an der Baustelle und den polnischen Bauarbeitern war einfach kein Vorbeikommen. Nach einem kurzen Schlenker ging es wieder zurück auf die Strecke und weiter nach Löwenberg. Dort angekommen wurde sich dann bei Brötchen, Kaffee und Kuchen gestärkt. Im Anschluss wurde am Rande von Löwenberg die Miniaturausgabe des Elbsandsteingebirges erklommen und der Ausblick genossen. Im weiteren Verlauf ging es in kleineren Gruppen weiter durch Wälder sowie Feld- und Wiesenlandschaften. Schotterpisten und anspruchsvolle Waldwege wechselten einander ab. Ein Wohlgenuss war die Ursprünglichkeit und Einsamkeit dieser Landschaften, auch wenn mal plötzlich der Weg mitten im Rapsfeld zu Enden schien und ein Weiterkommen erst einmal aussichtslos schien. Aber ein guter Orientierungssinn half schnell wieder aus dem Rapsfeld hinaus und wieder auf den Weg zurück. Auch offenbarten sich am Wegesrand viele unerwartete Entdeckungen.

So fand sich ein kleiner, plüschiger „Problem“-Bär, bei dem bisher noch nicht geklärt werden konnte, ob ein Zusammenhang mit seinem Artgenossen aus den bayrischen Alpen besteht. Ein Flugzeug, welches scheinbar bodennah über das Wasser schwebte, tauchte nahezu aus dem nichts inmitten der Felder auf. Ein Highlight auf diesem Abschnitt war sicherlich der epische Weg entlang der teilweise gestauten Bobr.

Das Licht, welches durch die Baumkronen auf den Weg über Wurzeln und Schotter schien, und der ständige Blick aufs Wasser waren ein wirkliches Freudenfest und ließen das Herz jeden Gravelers höherschlagen. Einer der vielen Gründe noch einmal in das bisher unbekannte Niederschlesien zu kommen. Denn bisher war für die meisten Niederschlesien ein weißer Fleck auf der Landkarte, zumindest was das Graveln anging. Kurz vor Hirschberg, dem nächsten Etappenziel, lockten mit einer Kirmes die Versuchung nach Spiel, Spaß und Freude. Diesen Genüssen konnte aber so gerade noch einmal widerstanden werden und stattdessen gingt es direkt nach Hirschberg, wo sich noch einmal alle für eine kleine Stärkung vor der Krönung der Etappe sammelten.

Von Hirschberg aus fuhr ein Teil der Gruppe im Licht der sich langsam senkenden Sonne über nicht enden wollende Schotterpisten durch die Wälder hinauf auf den Stog Izerski auf knapp über 1000 Meter. Die letzten Meter des Aufstieges verlangten Mensch und Rad noch einmal das letzte ab. Man kämpfte sich über Stock und viel Stein, und hindurch durch Blaubeerfelder zum Gipfel. Notfalls wurde auch geschoben, aber dabei immer den Blick auf dem Gipfel als Ziel voraus. Der traumhafte Ausblick bei Sonnenuntergang in die Ferne und hinunter ins Tal entschädigte aber für all diese Mühen. Einfach ein perfektes Timing, nahezu auf die Minute genau und das nach fast 130 Kilometern. Der andere Teil der Gruppe bezwang mit dem Sepia Gora, den kleineren Nachbarn des Stog Izerski. Ausblick und Erlebnis standen dem größeren Bruder daneben aber in nichts nach. Beide Gipfel bildeten jeweils für sich eine würdige Krönung dieser Tagesetappe.

In rasanter Abfahrt ging es wieder zurück ins Tal und mit ein paar kurzen Wellen über die Felder zu unserer herrschaftlichen Unterkunft. Nachdem die Energiespeicher wieder mit reichlich Essen aufgefüllt waren, ging es über zum gemütlichen Teil des Abends. Dank unseres Nachwuchs-Sommeliers Michel gab es eine illustre Auswahl an Weißweinen, deren Genuss sich manchmal erst beim zweiten oder dritten Schluck, oder bei richtig gewählter Reihenfolge erschloss. Beendet wurde dieser Graveltag voller unerwarteter und epischer Momente dann bei einem Lagerfeuer.

Tag 3: auf Adlers Fittichen

Nach dem sich am zweiten Abend zeigte, dass in uns allen ein kleiner Sommelier steckte (eine abschließende Beurteilung steht hier noch aus, da es sich ausschließlich um lieblichen Weißwein handelte), sollte es heute gen Heimat gehen. Dreiundsiebzig Kilometer und rund 1200 Höhenmeter trennten uns an diesem kühlen Frühlingsmorgen von unserem Etappenziel: Zittau! 

Bei einem Frühstück wurden die Energiereserven nochmal aufgefüllt. Dann hieß es Sachen packen und ins Begleitfahrzeug laden. Flaschen befüllen, ein paar der „furchtbar“ leckeren Energieriegel griffbereit packen und mit Schwung ging es los. Zittau wir kommen! Und so verabschiedeten wir uns von dem kleinen Ort Pobiedna in Niederschlesien und einer wundervollen Landschaft, die uns zum Glück für ein paar Stunden noch erhalten bleiben sollte. 

Ging es gestern holter-die-polter Berg auf, Berg ab, führten uns heute die ersten Kilometer entlang der Straße, ab in den Wald und entlang kurviger Waldwege. Von nun an ging es auf wunderbaren Waldwegen stetig bergauf und wir erklommen in kleinen Gruppen Meter um Meter. Belohnt wurden wir am Palicnik bei knapp 950 m ü. NHN mit einem 360° – Panorama über das Isergebirge. Schnell noch ein paar Fotos für das Urlaubsalbum knipsen, den Durst stillen und Energie tanken. Zur Auswahl standen Bananen und Energieriegel. 

Fortan trugen uns Waldwege und Schotterpisten die Höhen rauf und runter. Die Kilometer flogen nur so dahin und kaum das wir uns versahen, waren wir bei „Samalova Chata“ zum frühen Mittagessen angekommen. Nach Palatschinken, Suppe und einem Humpen des Besten, ging es gemeinsam weiter Richtung Ziel. Nebenbei hatten wir auch schon die Hälfte der heutigen Strecke gemeistert.

Von nun an ging es steil bergab und die Kilometer verronnen nur so dahin, weshalb wir uns auch mal die Zeit nahmen, einen am Fluss liegenden Spielplatz zu testen. Erneut. Mit Fug und Recht kann behauptet werden, dass beim Anblick eines Spielplatzes in fast jedem von uns das Kind erwacht. Leider blieb uns nicht genügend Zeit alle Spielgeräte auf ihre Belastbarkeit zu testen, mussten wir doch noch unsere Schauspielkarriere bei der Fahrt über eine Staumauer, gefilmt von einer Drohne, voranbringen.

Nach einem ausführlichen Fotoshooting auf und hinter Strohballen – die Modellkarriere darf ja nicht benachteiligt werden – fuhren wir im Sauseschritt über Wiesen und durch kleine Orte, entlang des Drei-Länder-Eck.

Und plötzlich waren wir da. Nach rund 300 Kilometern und über 4000 Höhenmetern kamen wir vereint dort an, wo alles vor langer Zeit begann. Der Marktplatz in Zittau. Nach einer kleinen Ansprache von unserem Leader Christian, ließen wir die Ereignisse der letzten Tage bei Kaffee, Kuchen, Eis u.ä. Revue passieren. Schön war es. 

Niederschlesien, wir sehen uns. Bald, ganz bestimmt.